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»You can just download the PDF, and read the Holy Bible« sagt Saeid.

Hauptsache Gott

Eine Gruppe Iraner nimmt es besonders ernst mit der Integration. Ausgerechnet in Leipzig, einem der gottlosesten Flecken der Welt, finden sie den Weg zum Christentum.

Reportage Florian Barth

Fotos Janek Stroisch

3. Juli 2017

Absurdistan im Kirchenschiff

ZSaeid wird hier David genannt. Ali wird Andreas gerufen und Samuel, ein 30-jähriger Iraner, wird schon so lange Samuel genannt, dass sich niemand mehr an seinen richtigen Namen erinnern kann. David, Andreas und Samuel bauen sich eine neue Identität auf. Als Christen. Getroffen haben sie sich im Bibelunterricht im Begegnungszentrum Die Brücke im Leipziger Osten. Ein südafrikanischer Missionar namens Hugo Gevers veranstaltet dort jeden Mittwoch einen Bibelkreis. Diesmal ist eine handvoll Iraner in die Brücke gekommen. Heute geht es um die Bergpredigt.

Hugo Gevers springt von Sprache zu Sprache. Ein Satz auf Deutsch, einer auf Englisch und dann spricht er auf Farsi weiter. Seit sieben Jahren arbeitet er hier in der Brücke, durch seine Arbeit mit den Iranern hat er Farsi gelernt. Dennoch übersetzt eine 40-jährige Iranerin namens Maria den Bibelunterricht, um Missverständnisse zu vermeiden.

Sie lebt seit über zehn Jahren in Deutschland und gehört zu den Ältesten iranischen Gemeindemitgliedern.

Ob sie sich damals taufen ließ, um ihre Chancen auf Asyl zu verbessern? Das interessiert hier niemanden. Hier zählt nur das mitmachen: singen, lachen, beten und vor allem zuhören.

Es wirkt befremdlich. Geht das hier nicht zu weit? Geflüchteten die Bibel einzutrichtern? Doch Hugos neue Jünger wirken glücklich und stolz zugleich.

Hugos Bibelstunde hat etwas von dem Gemeindeunterricht in den man Schulkinder schickt. Für die meisten Kinder ist der Gemeindeunterricht zu trocken. Oder hört man Leute schwärmen von ihrer großartigen Bibelstunde? Den deutschen Eltern ist das egal, für sie ist es beruhigend, dass die Kleinen ein paar Werte mit auf den Weg bekommen.

Doch hier, im Begegnungszentrum von St. Trinitatis in Leipzig herrscht Chaos.

Ein Chaos zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und vor allem aus verschiedenen Welten, hier verbinden die neue Religion und das Neue ist für jeden hier spannend. Das Neue, das Christentum steht hier vor allem für eins: Freiheit. Die Freiheit zu wählen, an welchen Gott man glaubt.

Der heimliche Christ

Saeid Alipour lauscht Hugos Predigt. Er ist seit 17 Monaten in Deutschland, jede Woche besucht er den Bibelunterricht, und vor einem Jahr hat er sich taufen lassen. In Teheran studierte er Übersetzung, später arbeitete er als Flugbegleiter für eine iranische Airline.

Doch wie ist Saeid überhaupt Christ geworden? »You can just download the PDF, and read the Holy Bible«, sagt Saeid. Er war 22 Jahre alt und hatte kurz zuvor die Universität abgeschlossen, da begann er heimlich zu Gott zu beten anstatt zu Allah. Er brauchte dafür keinen Teppich mehr, sondern nur das PDF auf seinem Smartphone.

Dann hörte er auf, freitags in die Moschee zu gehen. Nur vor seiner Familie bekannte er sich zum Christentum. Doch auch diese fastet nicht während des Ramadans und geht nur aus Angst vor dem Regime in die Moschee. Saeid ist der Meinung, dass im Iran niemand an den Islam glaubt.

Während seiner Zeit als Flugbegleiter landete er ein paar Mal in Deutschland. Wenn er dann für eine Nacht vom Flughafen zum nächsten Hotel hastete, kam das Land ihm abschreckend vor: Zu ernst schauten die Leute, zu kalt war ihm das Wetter in Hamburg. Es ging ihm gut im Iran. Er hatte mehre Autos und ein gutes Leben, erzählt er. Er war glücklich.

Dann flog sein neuer Glaube auf, und er musste flüchten.

Seit 2014 fliegt seine Airline immer häufiger Passagiere in die syrische Hauptstadt Damaskus. Der Iran unterstützt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Krieg. Das Regime aus Teheran schickte vor allem afghanische Geflüchtete in den Krieg, um für Assad zu kämpfen. Nur wenige von ihnen kehren lebend in ihre Heimat zurück. Das alles geschieht im Namen Allahs, behauptet das Regime.

An Bord einer Maschine fragte Saeid einen der Kämpfer warum dieser in den Krieg ziehe. Er antwortete ihm, so sei Allahs Wille. Saeid verlor die Fassung. Er sagte, dass kein Gott Menschen in den Krieg schickt, um Glaubensbrüder abzuschlachten. Er verfluchte Allah.

Ein Kollege filmte ihn dabei. Auf Gotteslästerung steht im Iran die Todesstrafe. Ein Freund warnte Saeid, dass die Sicherheitsbehörden an das Video gekommen sein könnten. Ihm blieb nur die Flucht.

In Deutschland erzählte ihm ein Security-Mitarbeiter von Hugos Gemeinde. Ein halbes Jahr später ließ sich Saeid taufen. Mittlerweile ist er bibelfest. Im Unterricht souffliert er Missionar Hugo, wenn er zur Bibel greifen muss, um etwas nachzuschlagen. Saeid kann das PDF jetzt auswendig.

Das Christentum. Eine stille Rebellion.

»Wisst ihr was los ist im Iran?«

Beim Singen schließt der Philosoph die Augen. Die Augen der anderen Iraner sind weit aufgerissen und strahlen. Sie lächeln und es ist ihnen anzusehen, dass sie einen Moment träumen – von der Heimat, die sie verlassen haben. Der Philosoph ist ein ruhiger Mann Anfang 30. Seine Frau, so erzählt er, war politische Aktivistin während der grünen Revolution im Iran. Auch der Philosoph ist Aktivist. Der neue Glaube, den er angenommen hat war eine Form des Aktivismus gegen das islamische Regime. Warum er zum Christentum konvertiert ist? Der Philosoph gibt keine Antworten sondern stellt selber Fragen:

Wisst ihr was los ist im Iran? Versteht ihr das Regime? Wisst ihr das man kein Instrument spielen darf auf der der Straße? Was er sagen will: »Ich war dort nicht frei.« Er ist stolz darauf, dass er für seine Freiheit kämpft. Ein Teil davon ist das Christentum. Er hält diejenigen, die nie im Iran gelebt haben für ahnungslos, wenn es um das Regime seines Heimatlandes geht. Denn nur er könne verstehen, was dort geschieht. Er, der dort gelebt und gelitten hat.

Er schaut ernst, spricht langsam und bestimmt, wenn es um seinen Neuen Glauben geht. Christ zu sein, ist für ihn der Kampf für die Freiheit. Zum Christentum hat er gefunden, weil die iranischen Philosophen, die er liebt und liest, von einem Messias schreiben. Im Koran ist davon keine Rede, aber in der Bibel. So fand er von der Philosophie zum Glauben.

Eine Bibel in Farsi.
Pfarrer Hugo ist der Dreh- und Angelpunkt in der Gemeinde.

Der Messias

»Die Figur des Messias fasziniert sie. Die Auferstehung ist die Schnittstelle zu ihrer Kultur und der Religion mit der sie aufgewachsen sind«, sagt Hugo. Im Iran ist der schiitische Islam Staatsreligion. Sein zentrales Element ist die Lehre der Zwölfer-Schia.

Die zwölf Imame sind im schiitischen Islam die einzigen legitimen Nachfolger des Propheten Mohammeds. Die ersten elf Imame wurden umgebracht und damit zu Märtyrern. Der zwölfte Imam lebt weiter in der Verborgenheit und auf dessen Wiedererscheinen hoffen die Schiiten, damit der zwölfte Imam die Erde von Ungerechtigkeit erlösen wird. Von den Schiiten wird dieser Imam Mahdi genannt – der Erlöser.

Wegen Hugo

Warum kommst du jeden Mittwoch zum Bibelunterricht?
Samuel: Wegen Hugo!
Und du, Ali?
Wegen Hugo.
Und du, Andreas?
Wegen Hugo.
Hugo. Hugo. Hugo.

Hugo ist ein schlaksiger Mann. Er ist immer damit beschäftigt, geduldig zu sein. Sein Arbeitstag dauert oft zwölf Stunden. Er ist da für seine Gemeinde und die Iraner. Die Flüchtlinge nennen in »Vater«.

Hugo stammt aus Südafrika. Seine Großeltern sind nach Südafrika ausgewandert und bis heute wird in der Familie deutsch gesprochen. Hugo studierte Theologie in Deutschland. Nach dem Studium ging er zurück nach Südafrika, um dort eine Gemeinde zu betreuen. Die Mitglieder waren weiß, politisch und forderten auch von Hugo, sich zur NP, der Partei des Apartheid-Regimes, zu bekennen. Hugo wehrte sich, bekam eine neue Gemeinde und kümmerte sich nun um indische Arbeitsmigranten in Südafrika. Dann kam das Angebot aus Deutschland. Plötzlich waren da Iraner, die betreut werden mussten. Weil er Erfahrung hatte in der Arbeit mit Migranten, nahm Hugo an.

Hugo verteilt Andachtszettel und stimmt das erste Lied auf Farsi an. Es handelt von einer gefährlichen Bootsfahrt über das offene Meer. Die Passagiere überleben mit Gottes Hilfe. Das Thema Flucht ist hier immer präsent.

Hugo freut sich, wenn sich jemand taufen lässt. Aber er zwingt niemanden, lässt jedem die Wahl. Die Iraner sind ihm dankbar. Sie lieben Hugo und Hugo liebt sie, und am Ende singen alle gemeinsam das Lied von der Bootsfahrt.

Hugo sagt, er hilft jedem, egal ob Muslim oder Christ. Jeder der in die Brücke kommt ist willkommen. Braucht man einen Anwalt, eine Wohnung oder jemanden der zuhört, Hugo ist da.

Der Geduldete. Der nicht betet.

Kreidebleich steht Ali in der Tür seiner Einraumwohnung am Rande von Leipzig. Seit fünf Jahren lebt er in Deutschland, ist aber nur geduldet. Erst seit kurzem hat er eine Arbeitserlaubnis. Drei Jahre hat er darauf gewartet. Jeden Tag saß er an seinem Küchentisch, rauchte Goldfieldtabak von Lidl und wurde immer bleicher. Dann kamen Rückenschmerzen. Depressionen plagten ihn. Das Warten machte ihn von Woche zu Woche kränker. Er beschloss, etwas gegen seine Situation zu tun. Er wollte nun dafür kämpfen, als Flüchtling anerkannt zu werden. Ein Freund erzählte ihm, dass Christen bessere Chancen haben, in Deutschland bleiben zu dürfen.

Dann hörte er von Hugo. In der Bibelstunde entdeckte er zwar nie die Faszination des Christentums, aber er fand Leute die ihn aufnahmen und eine Gemeinschaft, die ihm Halt gibt. Deshalb kommt er jede Woche hierher. Hier kann er für ein paar Stunden vergessen, dass er keine Perspektive in diesem Land hat. In der Brücke feiern die Iraner gemeinsam Ostern, Weihnachten und traditionelle iranische Feste. Nach einem halben Jahr im Bibelunterricht ließ Ali sich taufen.

Die Gemeinde hat Alis Asylstatus nicht ändern können – dafür aber sein Leben.

Im Land der Ungläubigen

In den neuen Bundesländern verschwindet das Christentum, der Großteil der Bevölkerung ist konfessionslos. Soziologen bezeichnen Ostdeutschland als »gottloseste Region der Welt«. In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gehören 83 Prozent der Bewohner keiner Gemeinde mehr an. In Thüringen sind 68 Prozent der Menschen konfessionslos. Nur in Sachsen sind noch 32 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder.

In den Städten bleiben die Gottesdienste meist leer. Im Leipziger Osten füllen nun die Iraner an Sonntagen die Bänke der Propsteikirche. Jede Gemeinde würde sich über solche Mitglieder freuen: Sie sind viele und sie sind jung. In Sachsen ist der größte Teil der praktizierenden Christen älter als 65 Jahre.

Erst die Taufe, dann der Aufenthaltstitel. Das Märchen vom schnellen Pass.

Wie viele muslimische Geflüchtete konvertieren ist nicht klar. Weder die evangelische noch die katholische Kirche erheben Zahlen. Auch das Bundesministerium für Migration und Geflüchtete teilt auf Anfrage mit:

»Die Fluchtgründe, die Asylsuchende im Rahmen ihrer Anhörung vortragen, werden statistisch nicht erfasst. Die Vorträge der Antragsteller sind so vielschichtig, dass es nicht möglich ist, diese auf eine statistische Komponente zu reduzieren. Daher liegen keine Zahlen zu konvertierten Asylsuchenden vor.«

Trotzdem glauben viele der Geflüchteten, dass eine Taufe ihre Chancen im Asylverfahren verbessert. Der Missionar Hugo meint, dass eine Taufe hilfreich ist, aber in der Regel nicht den Ausschlag gibt.

Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration unterstellt Asylbewerbern immer wieder, dass sie nur konvertieren, um ihre Chancen zu verbessern. Doch Hugo ist sich sicher: Es sind wahre Konvertiten, die er tauft.

Die Mehrheit

Hugo übersetzt. Wieder einmal. Doch nicht nur zwischen Sprachen, Traditionen und Religion. Diesmal übersetzt er Demokratie. Denn auch demokratisch soll es zugehen in einer christlichen Gemeinde.

Soll die Kirche für 500.000 oder 700.000 Euro verkauft werden?

Die Mehrheit entscheidet und die Mehrheit darf bestimmen. Die Iraner werden früher oder später das Kommando übernehmen.

Denn von den 180 Gemeindemitgliedern sind nur noch 50 gebürtige Leipziger. 130 Gemeindemitglieder stammen aus dem Iran. Ob das zu Konflikten führt in der Gemeinde?

Hugo weicht aus, will den Frieden bewahren. Andere sagen, dass einige Deutsche die Gemeinde verlassen haben, seit die Iraner in der Mehrheit sind. Sie fühlen sich überrumpelt, haben das Gefühl das es nicht mehr um sie geht. Hugo will ein Miteinander schaffen, und doch bilden sich Fronten.

Hugo erklärt den Iranern, dass sie mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel bei der nächsten Gemeinderatssitzung mitbestimmen dürfen, Einfluss haben, in einem Land in dem sie zwar geduldet sind aber wahrscheinlich niemals dieses Recht haben werden oder es Jahre bis Jahrzehnte dauern wird. In Deutschland sind sie zum Warten verdammt, aber die Gemeinde gibt ihnen ein bisschen Freiheit. Die Freiheit, zu wählen.Z